Neukölln im Netz
Körnerpark in Neukölln

11 Punkte für einen besseren Kinderschutz

Zurück

Neukölln hat vom Tod der kleinen “Lena” gelernt

Der Neuköllner Jugend- und Gesundheitsstadtrat Falko Liecke sieht die Veröffentlichung der Rechtsmediziner (Deutschland misshandelt seine Kinder. Michael Tsokos und Saskia Guddat) als Chance, das Netzwerk Kinderschutz dichter zu flechten. Viele Forderungen liegen seit langem auf dem Tisch, werden aber nicht umgesetzt.

“Diese Debatte befindet sich seit Veröffentlichung des Buches auf einem traurigen Höhepunkt. Es ist an der Zeit, das Netzwerk Kinderschutz zuverlässiger auszubauen, um Misshandlungen von Kindern zu verringern. Die Papierlage ist im System Kinderschutz gut, es scheitert aber oft an fehlenden gesetzlichen Regelungen, ganz praktischen Abläufen und menschlichem Versagen. Aber: Die ganz großen Lösungen gibt es nicht, sonder ein Puzzel von Maßnahmen, die konsequent umgesetzt werden müssen”, sagt Jugendstadtrat Falko Liecke.

Die Jugendämter können nicht hinter jeder Tür stehen, müssen aber auch die Ressourcen bekommen, um einzugreifen. Das Jugendamt Neukölln hat hier einen Strukturwandel eingeleitet und z.B. ein Kinderschutzteam (KST) mit zusätzlichem Personal eingerichtet. Das ist ein Novum in Berlin.

Aus dem tragischen Tod der kleinen “Lena” in 2012 haben wir Lehren gezogen und erstmals die Umstände durch eine Expertengruppe untersuchen lassen. Daraus sind u.a. meine Forderungen entstanden:

1. Einführung von verbindlichen Früherkennungsuntersuchungen (“U-Untersuchungen”) mit Sanktionsmöglichkeit/Bußgeldtatbestand der Eltern bei Nichtteilnahme.

2. Verbindliche Einführung von Neugeborenenbesuchen durch den Kinder- und Jugendgesundheitsdienst (Gesundheitsamt); alle neugeborenen Kinder werden besucht und Eltern beraten.

3. In Verdachtsfällen auf Kindeswohlgefährdung ist eine Kinderschutzambulanz an einem Krankenhaus aufzusuchen (nachrangig ein niedergelassener Kinderarzt), um umfassende, auch röntgenologische Untersuchung durchzuführen, z.B. um Knochenbrüche festzustellen. Dabei sind dezentrale Strukturen verbindlich festzulegen. Eine zentrale Kinderschutzambulanz für Berlin ist nicht zielführend.

4. Verbindliche Festlegung von Kinderschutzteams zur schnellen Intervention.

5. Einführung einer gesetzlichen Generalklausel im Kinderschutz. Datenschutz darf nicht zum Hindernis werden: Informationen innerhalb der Behörden, z.B. zwischen Jugend- und Gesundheitsämtern, Schulen und Kitas müssen in Verdachtsfällen ausgetauscht werden können.

6. Verbindliche Kooperation zwischen Jugend- und Gesundheitsämtern mit den niedergelassenen Kinderärzten sind erforderlich; Klärung von datenschutzrechtlichen Hindernissen > Generalklausel.

7. Einheitliche (über)bezirkliche Feststellung von Fallzahlen für die Sozialarbeiter und Festlegung einer Fallobergrenze pro Mitarbeiter auf maximal 50 Fälle.

8. Abschaffung des gesetzlichen Trägervorrangs (§ 4 SGB VIII) vor öffentlicher Leistung in der Jugendhilfe, d.h. die Jugendämter müssen in der Lage sein, auch eigene Angebote der Jugendhilfe zu betreiben und nicht alleine auf Träger der freien Jugendhilfe angewiesen zu sein.

9. Der verfassungsrechtlich verbriefte Auftrag (Art. 6 GG) an die Jugendämter, das Wächteramt über die Familie auszuüben, muss in der Praxis auch durch vor Ort Besuche, Kontrollen und Begutachtungen der Träger möglich sein, ob beispielsweise die Qualitätsstandards und die praktische Versorgung sichergestellt ist. Der wirtschaftliche Auslastungsgrad einer trägerbetriebenen Einrichtung muss den Jugendämtern bekannt sein.

10. Anpassung des SGB VIII (Jugendhilfe): Verbindliche Arbeit mit den Kindesvätern oder Lebenspartnern einführen, um mögliche Risiken aus dieser Gruppe zu erkennen und diesen entgegenzuwirken. Viele Misshandlungen erfolgen aus dieser Gruppe, die aber oftmals nicht umfassend eingebunden wird. Auskunftsrechte ggü. anderen Behörden müssen erleichtert werden.

11. Verbindliche Festlegung von Präventionsarbeit und Sicherstellung ab der Schwangerschaft.

In vielen dieser Punkte kann die neue Bundesfamilienministerin zeigen, dass nicht nur Lippenbekenntnisse abgegeben

BA Neukölln, 31.1.2014