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Der Rathaus-Brunnen in Neukölln,
ein Zeichen der Verbundenheit mit Usti nad Orlici

Der Rathaus-Brunnen in Neukölln


Am 15. Mai 1993 war es soweit: Nach vielfältigen Vorbereitungen, aufwendigen Restaurierungsarbeiten und durch das Zusammenwirken einer Vielzahl von Personen, Firmen und insbesondere durch die freundschaftliche Unterstützung der  Neuköllner Partnerstadt in der Tschechischen Republik, Usti nad Orlici, steht vor dem Neuköllner Rathaus wieder ein Brunnen. Es ist ein Brunnen mit Geschichte. In ihm vereinigen sich Anteile aus drei unterschiedlichen historischen Zeitabschnitten. Steinmetzarbeiten aus der Kaiserzeit und aus den unmittelbaren Nachkriegsjahren bilden zusammen mit einer neu geschaffenen Brunnenfigur eine harmonische Einheit. Die Brunnenschale stammt von dem 1914 eingeweihten Fritz-Reuter-Brunnen des Berliner Bildhauers Professor Heinrich Mißfeld.

In einer schlichten Feier am Dienstag, dem 13. Oktober 1914, um 11 Uhr wurde auf dem Reuterplatz in Neukölln der Fritz-Reuter-Brunnen eingeweiht. Die Brunnenanlage aus Kirchheimer Muschelkalk war dem niederdeutschen Dichter Fritz Reuter gewidmet. Den Hauptteil des Brunnens bildete eine aus einem Block geformte bauchige Schale mit einem Durchmesser von drei Metern, aus deren Mitte sich das Denkmal für Fritz Reuter erhob. Es bestand aus einem geschweiften Sockel, den ein Relief mit einer Profilansicht des Dichters und die Inschrift “Fritz Reuter 1810-1874" schmückte. Den Sockel krönte eine Plastik, die das Zwillingspaar Mining und Lining, zwei Kinderfiguren aus Reuters Roman "Ut mine Stromtid", darstellte.

Der Fritz-Reuter-Brunnen war durch die Initiative eines Denkmalkomitees möglich geworden, das einen erheblichen Teil der   Bausumme von rd. 20000 Mark durch Sammlungen aufgebracht hatte. Der Brunnen und die ihn umgebende Grünanlage wurden im Krieg weitgehend zerstört, lediglich die Brunnenschale blieb erhalten. Das Wasserbecken ist ein Werk des Bildhauers Karl Wenke, das er Ende 1949 / Anfang 1950 im Zuge der Neugestaltung des im Krieg weitgehend zerstörten Mißfeld-Brunnens schuf. Die Brunnenschale konnte verwendet, die Rohranlagen mussten nur zum Teil erneuert werden. Ein den Brunnen umgebendes Wasserbecken und eine Brunnenfigur waren neu zu schaffen. Im Laufe des darauffolgenden Jahres war der neue Brunnen bis auf die von Karl Wenke geschaffene Brunnenfigur - die Darstellung eines auf einer Kugel sitzenden Mädchens - fertiggestellt. Sie wurde erst 1958 installiert. Die Brunnenfigur schließlich ist ein Geschenk der Neuköllner Partnerstadt Usti nad Orlici. Wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Kombination?

Der Vorläuferbrunnen auf dem Rathaus-Vorplatz, der sogenannte Eternit-Brunnen, wurde im Herbst 1991 abgerissen. Nach 15 Jahren Betrieb war der im wesentlichen aus fünf Eternitrohren bestehende Brunnen durch Witterungseinflüsse unansehnlich geworden und wurde - nicht zuletzt auch wegen seiner Schadstoffbestandteile - entfernt. Eine Lösung für die Neugestaltung des Rathaus-Vorplatzes musste gefunden werden. Das Bezirksamt entschied sich wiederum für einen Brunnen. Angesichts der angespannten Berliner Haushaltslage konnten dafür aber nur geringe Mittel eingeplant werden. Es lag daher nahe, auf "bezirkliche Bestände" zurückzugreifen. Zur Verfügung stand der im September 1990 demontierte Reuterplatz-Brunnen, dessen Einzelteile im Volkspark Hasenheide lagerten.

Diese Einzelteile aber waren in einem derart ruinösen Zustand, dass der Bezirk mit Instandsetzungskosten von rd. 150 000 DM rechnen musste. In dieser Situation bot der stellvertretende Bürgermeister der Neuköllner Partnerstadt Usti nad Orlici, Pavel Sedlacek, der mit einer Wirtschaftsdelegation zu Gast war, den Neuköllnern die Hilfe seiner Gemeinde an. Er schlug vor, die Bildhauer- und Steinmetzfachschule in Horice um Unterstützung zu bitten. Um das Angebot zu prüfen, suchte in der Zeit vom 11. bis 13. Mai 1992 eine Neuköllner Delegation, der u.a. der Bezirksbürgermeister und die Vorsitzenden der SPD- und der CDU-Fraktion der Bezirksverordnetenversammlung angehörten, die Fachschule in Horice auf. Diese Schule, eine bedeutende, traditionsreiche tschechische Institution, wurde 1884 von der österreichischen Regierung als k.u.k. Fachschule gegründet. Ein erster großer internationaler Erfolg war 1926 die Auszeichnung mit dem Grand Prix auf der internationalen Ausstellung für Dekorativkunst in Paris. Überall in der Tschechischen Republik, aber auch in vielen anderen Ländern, sind Werke dieser Schule zu finden.

Einer Zusammenarbeit zwischen  Usti nad Orlici bzw. Horice und Neukölln bei der Gestaltung des neuen Rathaus-Brunnens stand nach dem Besuch in Horice nichts mehr entgegen. Techniker und Bildhauer aus Horice reisten zur Ortsbesichtigung nach Neukölln, es gab Planungsgespräche in Neukölln und Usti nad Orlici, das Neuköllner Hochbauamt und das Naturschutz- und Grünflächenamt wurden eingeschaltet und private Firmen um Unterstützung gebeten. Die Planung und technische Koordination übernahm das Architekturbüro "Büro am Lützowplatz (BAL)".

Bei den Planungen kristallisierte sich folgende Arbeitsteilung heraus: Die Fachschule Horice übernahm die Aufgabe, das Brunnenbecken und die Brunnenschale des demontierten Reuterplatz-Brunnens zu restaurieren und am neuen Standort aufzustellen sowie eine Brunnenfigur samt Sockel zu schaffen. Für alle anderen Arbeiten wie Beton- und Elektroarbeiten, die Farbbeschichtung und die Erstellung der wassertechnischen Anlage fanden sich Berliner Firmen, die bereit waren, unentgeltlich Material, Arbeitskräfte und Know-how zur Verfügung zu stellen.

Die Hilfe der Partnerstadt  Usti nad Orlici und die Großzügigkeit privater Firmen ermöglichten es, die wesentlichen Teile des Reuterplatz-Brunnens zu verwenden, und das zu einem Preis, der weit unter den ehemals geschätzten Kosten von 150 000 DM lag. Die Brunnenfigur erhielt Neukölln von seiner Partnerstadt als Geschenk. Das Bezirksamt beschloss im Gegenzug auf seiner Sitzung am 15. September 1992, der Schule dringend benötigte Materialien im Wert von rd. 12 000 DM zur Verfügung zu stellen.

Am 9. September 1992 trat das Projekt in seine entscheidende Phase. Zehn Studenten und drei Lehrer der Steinmetzfachschule reisten samt ihrem Werkzeug nach Neukölln und begannen mit der Restaurierung des Brunnens. Bis zum 6. Oktober waren sie beschäftigt, die stark beschädigte Brunnenschale und das Brunnenbecken zu reinigen und zu reparieren; ein fehlendes Segment des Brunnenbeckens musste nachgefertigt werden. Parallel zu den Restaurierungsarbeiten wählte das Neuköllner Bezirksamt eine passende Brunnenfigur aus. Von den in der Bildhauerfachschule ausgestellten Modellen kamen fünf Frauenfiguren in die engere Wahl. Das Bezirksamtskollegium entschied sich am 15. September 1992 für eine 1,50 m große, sitzende Frauenfigur, die einen Krug in der Hand hält, so, als schöpfe sie Wasser. Als vorläufiger Abschluss der Arbeiten wurde am 8. Oktober 1992 mit einem Schwenkkran die aus einem Block gefertigte, neun Tonnen wiegende Brunnenschale vor dem Rathaus aufgestellt. Der Sandsteinsockel für die Brunnenfigur, der in Horice gefertigt worden war, kam am 3.. November 1992 hinzu. Nach Anschluss der Pumpenanlage erfolgte am 4. November 1992 ein Probelauf. Den krönenden Abschluss des städtepartnerschaftlichen Projekts bildete im Frühjahr 1993 die Installation der Brunnenfigur. Als großzügiges Geschenk der tschechischen Partnerstadt verkörpert sie - zusammen mit dem Brunnen - unübersehbar die freundschaftliche Verbundenheit Neuköllns mit  Usti nad Orlici.
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